Armin Pfahl-Traughber
Elend des Christentums und Plädoyer für Humanismus
Zum 65. Geburtstag des Religionskritikers Joachim Kahl

Erstveröffentlichung in:
miz 1/06
Seiten 33-34

Joachim Kahl wurde durch sein 1968 erstmals erschienenes Buch Das Elend der Christentums bekannt. Inhaltlich stellte es eine ebenso sachkundige wie zornige Abrechnung mit Institution und Lehre des Christentums dar. Binnen kurzer Zeit fand das Buch weite Verbreitung, bis Anfang der 1980er Jahre wurden über 120.000 Exemplare verkauft und erfolgten Übersetzungen in vier Sprachen. Unmittelbar nach der Veröffentlichung erschien sogar ein gesonderter Sammelband mit kritischen Beitragen aus theologischer Sicht. Das Elend des Christentums kann somit als eines der bedeutendsten religionskritischen Bücher der Nachkriegszeit gelten. Es beeinflusste zahlreiche Menschen und motivierte sie mit zu einem Abschied vom Christentum. 2005 erschien mit Weltlicher Humanismus Kahls bislang letztes Buch, ein Beitrag zur Philosophie eines säkularen Humanismus. Am 12. Mai feiert der Religionskritiker seinen 65. Geburtstag. Grund genug für einen kurzen Rückblick auf Leben und Werk.

In Köln 1941 geboren, studierte Kahl von 1960 an in seiner Heimatstadt protestantische Theologie mit dem Berufsziel Pfarrer. Besonders angesprochen fühlte er sich von den kritischen Strömungen innerhalb der seinerzeitigen Universitätstheologie. Das erklärt auch die bewusste Auswahl seiner späteren Studienorte Bonn, Marburg und Zürich. Im Verlauf der Auseinandersetzung mit der Theologie trat Kahl aber nicht mehr nur für eine Reformrichtung ein, sondern brach ganz mit dem Christentum. Als schon Ungläubiger promovierte er 1967 in Marburg zum Doktor der Theologie mit einer Arbeit über "Philosophie und Christologie im Denken Friedrich Gogartens". Darin versuchte er zu belegen, dass sich dessen Theologie systemimmanent in Philosophie auflösen lasse. Als Konsequenz aus dieser Einsicht und der Abwendung vom Glauben trat Kahl aus der Kirche aus und wandte sich fortan der Philosophie zu. In Frankfurt/M. begann er bei Vertretern der "Kritischen Theorie" ein Zweitstudium in diesem Fach.

Ein Jahr später zog Das Elend des Christentums. Plädoyer für eine Humanität ohne Gott einen Schlussstrich unter Kahls theologische Phase. Das Buch konstatierte die Unerkennbarkeit des historischen Jesu, kritisierte die Widersprüche in theologischen Aussagen, zeichnete die von Diskriminierung und Verfolgung geprägte Kirchengeschichte nach und trat für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat als Gebot der Religionsfreiheit ein. 1972 kehrte der zwischenzeitlich am Marxismus orientierte Kahl nach Marburg zurück. Dort promovierte er 1975 bei dem bekannten marxistischen Philosophen Hans Heinz Holz mit der Arbeit "Darstellung, Analyse und Kritik der 'Weltanschauungskritik' Ernst Topitschs". Sie veranschaulicht die Hinwendung zu einem dogmatischen Marxismus im Sinne der DKP und der DDR. Entsprechend enthielt Kahls Promotion sowohl Bekenntnisse zum Prinzip der Parteilichkeit als auch Ausführungen zum direkten Zusammenhang von Klasseninteresse und Philosophie.

Die geistige Neu-Ausrichtung fand auch Niederschlag in Kahls politischem Engagement: als Sprecher zunächst des "Marburger Komitees gegen Berufsverbote" und danach des "Hessischen Komitees gegen Berufsverbote" engagierte er sich zwischen 1972 und 1990 gegen den "Radikalenerlass". Kahl empfand diese Arbeit als Schule der Demokratie und Toleranz, erkannte allerdings erst relativ spät, in welchem Ausmaß er sich in diesem Zusammenhang unkritisch von des DDR-orientierten DKP hatte vereinnahmen lassen. Kahl brach später mit dem dogmatischen Marxismus-Leninismus, womit eine weitere Etappe seiner intellektuellen Entwicklung beendet war. Das Vorwort zur Neuauflage von Das Elend des Christentums von 1993 enthält eine kurze Betrachtung dazu: In der Rückschau meinte der Autor, seine atheistische Philosophie habe selbst eine religiöse Färbung angenommen, seine protestantische Theologie hatte sich in marxistische Teleologie verwandelt.

Gleichwohl nahm Kahl weder von einer materialistischen Prägung seines philosophischen Denkens noch von der Ablehnung der Religionen aus atheistischer Perspektive Abschied. An dem grundsätzlichen Nein zur christlichen Botschaft aus Gründen des Gewissens und der Vernunft hielt er fest. Das Nachwort zur Neuausgabe von Das Elend des Christentums enthält in diesem Sinne kritische Anmerkungen zu neueren "theologischen Rettungsversuchen", eine kritische Polemik zu Eugen Drewermann und Leitgedanken zu einem atheistischen Humanismus. Philosophisch versteht sich Kahl heute als Vertreter eines skeptischen Atheismus und Humanismus und politisch als Anhänger demokratischer Reformpolitik. Hinsichtlich kultureller Fragen lässt er mitunter auch konservative Auffassungen erkennen. In seinem 2005 erschienen Buch Weltlicher Humanismus nimmt er Stellung zu unterschiedlichen philosophischen Fragen, die durch die vier Leitmotive Atheismus, Metaphysik, Naturalismus und Skepsis geprägt sind.

Eine ausführlichere Darstellung zu Kahls Religionskritik wird in Humanismus aktuell, Heft 19 /2006 erscheinen.

Prof. Dr. phil. Armin Pfahl-Traughber, Jahrgang 1963, Politikwissenschaftler und Soziologe, bekannt durch zahlreiche Veröffentlichungen zu Themen der Rechtsextremismus- und Antisemitismusforschung.


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